Mitten im Sommer irgendwo in Schweden

Zeit ist relativ. Und in diesem Sommer ist sie nicht nur verflogen, sondern mit Überschall dahin gerauscht. Ich weiß nicht, was das für Einsteins Theorie bedeutet, aber ich schätze wir können froh sein, dass durch das überdurchschnittlich schnelle Vergehen der Zeit kein schwarzes Loch entstanden ist. Das macht keinen Sinn? Wer in meinem Physikunterricht war, weiß, wieso ich hier klaren Mangel an Wissen habe.

Wobei ich mir dahingegen sicher bin, ist, dass dieser Sommer in Schweden die Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen hat. Und das möchte etwas heißen, denn Sommer in Schweden lässt ja wohl bei einigen die Töpfe mit romantisierten Vorstellungen nur so überkochen.

Die Mitte des Sommers

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Jeder der Werbung von IKEA kennt, kennt wohl auch Mittsommer. Der längste Tag des Jahres wird bei den Schweden mit einem blumenreichen Fest gefeiert. Ganz verwundert über die Tatsache, dass Mittsommer nicht auch in Deutschland gefeiert wird, berichten uns die Schweden bereitwillig über ihre Traditionen an diesem Tag.

Das wichtigste zu erst: Der Blumenkranz, den die Mädchen (und in dem progressiven Schweden auch der ein oder andere Junge) auf dem Kopf tragen, muss morgens gebunden werden. Obwohl unerfahren, schlagen wir uns recht gut und unsere Kränze sehen präsentabel aus. Danach geht es zum Tanzen. Mittags trifft man sich um die  Mittsommerstange aufzustellen und zu schmücken. Wie so viele Feste ist auch dieses ursprünglich der Fruchtbarkeit des Bodens und der Hoffnung auf gute Ernte gewidmet und so erklärt sich bei genauerem Hinsehen auch das Aussehen der Mittsommerstange . Heut zu Tage steht allerdings eher der gemeinsame Tanzen, das Erdbeeren mit Schlagsahne Essen und das mit seiner Familie zusammen sein im Vordergrund.

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Wir wollen natürlich möglichst authentisch Mittsommer feiern und so gibt es bei uns zum Abendessen frische Kartoffeln (aus irgendeinem Grund wird das immer besonders betont), Lingonsylt (Preiselbeermarmelade) und Köttbullar (natürlich vegetarisch, man kann ja nicht so mir nichts dir nichts all seine Prinzipien über Bord werfen).

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Eine weitere Tradition dieses Tages hat es uns angetan. Orakelgleich soll man von seinem zukünftigen Ehemann träumen, wenn man sieben (beziehungsweise 9, da ist man sich nicht ganz einig) unterschiedliche Blumen in dieser Nacht unter sein Kopfkissen legt. Neugierig, wie wir sind, haben wir gesammelt und alles gemacht wie es uns erzählt wurde. Wer die Kinder von Bullerbü kennt, weiß allerdings, dass es nicht nur die unterschiedlichen Blumen sind, die ein unverfälschtes Ergebnis herbeiführen, sondern auch, dass diese von sieben unterschiedlichen Äckern gepflückt werden müssen. Außerdem darf man beim Sammeln nicht reden. Und ja. Ich muss zugeben, diese letzteren Regeln haben wir nicht ausreichend beachtet. Weder sind wir so weit gelaufen, noch haben wir dabei den Mund gehalten. Und vielleicht ist es diese Ungenauigkeit bei der Vorbereitung, die letztlich zu einer etwas uneindeutigen Traumlandschaft geführt hat. Naja, vielleicht ist es auch ganz schön sich in der Hinsicht überraschen zu lassen.

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Ein Auto namens Blake Beauty

Über den Schönheitsanspruch eines Kraftfahrzeuges lässt sich streiten, aber für uns bedeutete es nach einem Jahr mit Busfahren oder zu Fuß laufen, Freiheit. In Göteborg leihen wir uns für sechs Tage einen Volvo V40 aus (der Kofferraum existiert, hätte aber größer sein dürfen) und sind fasziniert. Kein Abwarten, kein Umsteigen, man kann los, wann man will. Nur tanken muss man ab und zu. Der einzige Nachteil. Und wohin wollen wir? Nach Småland, Astrid Lindgrens Welt. Hier ist sie aufgewachsen und hier spielt ein Großteil ihrer Geschichten. Ein Blick au die Karte lässt uns feststellen: Schweden ist zwar lang, aber nicht sonderlich breit, und so ist unser Ziel, grade mal drei Autostunden entfernt. Eine etwas kurze Distanz um das Ganze einen Roadtrip zu nennen, also beschließen wir zunächst die südliche Küste Schwedens ab zu fahren.

Weite Felder und grüne Hügellandschaften zieren Skåne. Das Meer rauscht blau und wir machen Gebrauch vom Allmannsrätt. (Genau, dieses berühmt berüchtigte Recht (fast) egal wo für 24 Stunden zu campen.) Die erste Nacht verbringen wir in den Dünen, Möwen ziehen vorbei, die Sonne scheint und der Wind ist nur ein ganz kleines bisschen frisch.

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Am folgenden Tag besuchen wir zunächst ein Wikingerdorf. Hier gibt es nicht nur traditionell gebaute Häuser zu bewundern, selbst gebackenes Brot zu probieren sondern auch echte Wikinger zu beobachten. Sie raufen sich, einer bekommt einen Zahn gezogen und wir bekommen sogar eine Trollgeschichte erzählt und das auch noch von dem größten, mächtigsten und bärtigsten Wikinger des Dorfes. Trolle mögen übrigens nichts lieber als Grütze. Das kann nützliches Wissen sein, falls man einmal einem begegnen sollte.

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Weiter geht unsere Fahrt und wir erreichen einen kleinen beschaulichen Waldsee. Gewalt ist eine Lösung? Tatsächlich nicht immer. Unsere Zeltstange bricht (wir haben es  beim zweiten Aufbau geschafft, nachdem Sofies Eltern, die uns das gute Stück freundlicher Weise als Leihgabe zur verfügung stellten, über 20 (?) Jahre in einwandfreiem Zustand gehalten hatten), und mit ihr reißt die Haut an Sofies Finger auf. Die Blutung will nicht aufhören, der erste Hilfekasten des Autos wird angebrochen und fortan muss bei jeglichem Wasserkontakt eine stylische Plastiktüte über dem guten Stück getragen werden. Es darf ja auch nicht zu schön sein.

Umso entspannter der restliche Abend. Den Sonnenuntergang als perfekte Spiegelung in der Wasseroberfläche bewundern. Morgens dann im See schwimmen und sich tatschlich auch mal die Haare waschen.

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In Südschweden mag man vor der Begegnung mit Wölfen und Bären gefeit sein, aber nicht vor der mit Deutschen. Und so bekommen wir von einer weitgereisten Berlinerin erzählt, dass Öland (unser nächstes Ziel, eine Schweden vorgelagerte langgestreckte Insel) tatsächlich Ödland heißen sollte und Göteborg ja sowieso eher eine Stadt für 45+ ist. Na dann, es ist immer schön Experten zu treffen. Über Kalmar fahren wir über die Brücke nach Öland. Wohin man blickt blühende Sträucher, Blick auf die Küste und lichtdurchströmte Wälder. Wir fahren bis zum nördlichsten Punkt der Insel und wundern uns noch immer, wo wir das versprochene Ödland finden werden. Unser nun etwas marodes (doch, wie ich betonen möchte, immernoch voll funktionsfähiges) Zelt wird in einem kleinen Wäldchen am Meer, zu Füßen des Leuchtturms, aufgeschlagen.

Am nächsten Tag ist es dann endlich so weit. Wir machen uns auf den Weg nach Småland. Umso näher wir kommen, umso öfter treffen wir neben den verholperten Straßen auf malerische rote Bilderbuch Häuser, auf mit Moos überzogene Steinmäuerchen und Kuhweiden. Wer denkt Astrid Lindgren hat viel Fantasie gebraucht, um die Landschaften ihrer Bücher zu beschreiben, liegt falsch. Sie musste einfach aus ihrem Fenster schauen, und diese unbeschreibliche Idylle in Worte fassen, ein Widerspruch in sich, doch ihrem Erfolg nach zu Urteilen, ist es ihr gelungen.

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An den folgenden Tagen besichtigen wir ihr Geburtshaus, schauen wortwörtlich hinter die Kulissen von Ronja, Emil (oder zu deutsch: Michel, dank Erich Kästner hatten wir schon einen Emil und man will die deutsche Bevölkerung ja nicht überfordern) und Pippi, und besuchen das echte Bullerbü. Nord-, Süd, und Mittelhof reihen sich aneinander. Dort ist die Scheune, in der die Mädchen übernachtet haben und dort die der Jungs. Vor fast 60 Jahren wurden hier die Filme zu Lindgrens Geschichte gedreht. Auf Sofie und Johanna wartend, betrachte ich die vorbeigehenden Familien. Ein kleiner Schwede zählt stolz die Namen der Bewohner der Häuser auf. Gleich dahinter eine deutsche Familie: „Hier wohnen Britta und Inga. Und da Lisa, Bosse und Lasse!“

Oft sagt man „als ich jung war da gab es…“ oder „zu meiner Zeit hatten wir,…“ (Gut ich vielleicht weniger, ich denke da mehr an die Generation 45+). Anders mit dieser von Astrid Lindgren geschaffenen, zeitlosen Welt. Wie viele Generationen nennen das wohl schon ihre Kindheit? Wie häufig wurden die alten Bücher hervorgeholt um sie den eigenen Kindern vorzulesen?

Und dann geht die Woche grenzenloser Freiheit zu Ende und nicht nur wir sondern auch das Wetter scheint darüber unglücklich zu sein. Die letzte Nacht regnet und gewittert es und so verbringen wir sie eingepfercht zwischen Kühlbox, Kleidersack und Lenkrad im Auto. Vielleicht ist es diesem, nicht so ganz erfrischenden Schlaf geschuldet, dass wir auf einem scheinbar menschen- und autoleeren Platz, beim Zurücksetzten plötzlich ein anderes Auto hinter uns haben. Wie schön, dass wir (ich ganz die Tochter meines Vaters) eine Versicherung im Voraus abgeschlossen hatten. Alles halb so wild, muss man wohl auch mal mitgemacht haben.

 

Faul sein ist wunderschön, denn die Arbeit hat noch Zeit.

-Pippi Langstrumpf

 

In diesem Sinne genießen wir jetzt unsere letzten Wochen hier in Schweden, lassen es ruhig angehen, bevor es dann bald wieder nach Hause geht. Verrückt.

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